Engagiertes Hessen: Interview mit Tilmann Hirsch

Im Projekt „100 nach­haltige Bauern­höfe“ teilen hessische Landwirtschafts­betriebe ihr Wissen über Nach­haltigkeit und Klima­schutz. Der passionierte Acker­bauer Tilmann Hirsch beteiligt sich mit seinem land­wirtschaftlichen Nebenerwerbs­betrieb im Main-Kinzig-Kreis aktiv am Projekt. Er ist außerdem Pflanzen­bauleiter der Hessischen Staats­domäne Baiersröder­hof. Beide Betriebe haben ihren Schwer­punkt im Acker­bau, wobei auf dem Baiersröder­hof im großen Stil Saatgut­vermehrung betrieben wird – die Königs­disziplin in der pflanzlichen Erzeugung. Im Interview mit dem Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen gibt Tilmann Hirsch Impulse und Experten­tipps.


Herr Hirsch, warum ist es wichtig, Pflanzen zu schützen und welche Rolle spielt dabei die Nach­haltigkeit?

Pflanzen sind anfällig gegen­über verschiedensten Krankheits­erregern und Schad­organismen. Außer­dem kann das Auf­treten unerwünschter Unkräuter zu einer Konkurrenz mit den Kultur­pflanzen führen. All diese Aspekte führen zu einer Minderung von Ertrag und Qualität. Um Erträge und Qualitäten abzusichern, ist es daher essenziell, die Pflanzen auf dem Acker zu schützen.

Ich bin außer­dem davon über­zeugt, dass wir in einer Region leben, die besonders günstige Bedingungen für die heimische Nahrungsmittel­produktion bietet. Deshalb sehe ich es fast schon als Pflicht an, den Bedarf durch regionale Produktion zu decken und auf Importe weitest­gehend zu verzichten. Das ist für mich gelebte Nachhaltig­keit. Und um dieses Ziel erreichen zu können, spielt der Pflanzen­schutz eine entscheidende Rolle.


Welche acker­baulichen Methoden und Techno­logien nutzen Sie, um den Pflanzen­schutz in Ihrem Betrieb zu gestalten?

Pflanzenschutz ist viel­fältig und umfasst auch Strategien, die viele vielleicht gar nicht auf dem Schirm haben. Im Sinne des integrierten Pflanzen­schutzes beginnen die Maß­nahmen bereits bei der Planung der Frucht­folge. Auf meinen Acker­flächen findet stets ein Wechsel zwischen Halm- und Blatt­früchten statt. Halm­früchte sind zum Beispiel klassische Getreide­arten wie Weizen oder Gerste. Blatt­früchte, die auf meinem Betrieb angebaut werden, sind unter anderem Raps, Zucker­rüben, Mais und Erbsen. Die drei letzt­genannten sind zudem Sommerungen, die weitere pflanzen­bauliche Vor­teile mit sich bringen.

Zusätzlich setze ich auf eine angepasste Boden­bearbeitung, bodenschonendes Arbeiten und organische Düngung. Diese Maß­nahmen tragen dazu bei das Boden­leben zu fördern und die Ertrags­fähigkeit der Böden zu erhalten oder sogar zu erhöhen. Das ist die perfekte Grund­lage für vitale und robuste Pflanzen­bestände. Außer­dem setze ich neben gesunden Sorten auch auf Nützlinge, die als natürliche Gegen­spieler von Schad­organismen agieren. Diese lassen sich durch eine nützlings­schonende Arbeits­weise gezielt fördern.

Pflanzenschutzmittel setze ich erst dann ein, wenn alle anderen Maß­nahmen nicht aus­reichen, um die Kultur gesund zu erhalten. Aller­dings so reduziert wie möglich, zum optimalen Zeit­punkt und stets angepasst an das tat­sächliche Auf­treten von Krank­heiten und Schädlingen.


Sie haben bereits erwähnt, dass Sie Pflanzen­schutzmittel so reduziert wie möglich ein­setzen. Synthetische Pflanzenschutz­mittel stehen zunehmend in der Kritik der Öffentlich­keit. Wie stehen Sie dieser Kritik gegen­über und welche Maß­nahmen ergreifen Sie in Ihrem Betrieb, um negative Aus­wirkungen auf die Umwelt zu vermeiden?

Es mag sein, dass diese Kritik in Teilen gerecht­fertigt ist. Aber sie ist sicher­lich nicht pauschal als richtig anzusehen. Ich finde es besonders besorgnis­erregend, dass eine große Unwissen­heit in der Bevölkerung zum Thema Pflanzen­schutz herrscht. Die positiven Effekte synthetischer Pflanzenschutz­mittel werden häufig über­sehen, während die aus­reichende Versorgung mit qualitativ hoch­wertigen Lebens­mitteln als selbst­verständlich betrachtet wird. Dabei ist dies häufig nur mit dem gezielten Einsatz von Pflanzenschutz­mitteln möglich. Ich will Ihnen da mal zwei Beispiele geben. In einem sehr feuchten Jahr wie diesem, das bis­lang durch regel­mäßige Nieder­schläge geprägt war, kann es nicht selten passieren, dass Back­weizen ohne den Ein­satz von Fungiziden nicht den Grenz­wert für Myko­toxine ein­hält (Anm. d. Red.: Fungizide sind Mittel zur Bekämpfung von Pilz­krankheiten bei Pflanzen und Myko­toxine sind Gifte, die durch Schimmel­pilze gebildet werden). Solche Partien sind dann nicht für die menschliche Ernährung geeignet. Und auch das Auf­treten von Kraut- und Knollen­fäule in Kartoffeln kann ohne den Ein­satz von Fungiziden zum Total­ausfall führen.

Beim Pflanzen­schutz verfahre ich nach dem Prinzip „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“. Wenn ich Pflanzenschutz­mittel ein­setze, dann immer nach dem Schadschwellen­prinzip. Ich handle nicht prophy­laktisch, sondern erst dann, wenn die Schad­schwelle eines gewissen Erregers ein­deutig über­schritten ist. Außer­dem sorgt modernste Ausbring­technik, wie GPS-gestütztes Section Control an der Pflanzenschutz­spritze dafür, dass es zu keinen Doppel­behandlungen oder der Behandlung von Nicht-Zielflächen kommt. Ich glaube auch, dass viele Verbraucher­innen und Verbraucher die unzähligen Regelungen und Kontrollen unter­schätzen, die wir als Landwirtschafts­betriebe im Bereich des Pflanzen­schutzes erfahren. Grund­sätzlich ist es so, dass bereits durch das Zulassungs­verfahren und die Anwendungs­bestimmungen eines Pflanzenschutz­mittels definiert ist, dass bei sach­gerechter Anwendung keiner­lei negative Aus­wirkungen auf Mensch und Umwelt zu erwarten sind.


Wo sehen Sie in Ihrem Betrieb Möglichkeiten, den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln weiter zu reduzieren?

Da ich bereits stark nach den Grund­sätzen des integrierten Pflanzen­schutzes arbeite und den Einsatz von Pflanzenschutz­mitteln auf ein Minimum reduziert habe, fällt es mir schwer, zusätzliche Maß­nahmen zu benennen, ohne dabei die Produktion lang­fristig zu riskieren. Bei einer noch stärkeren Reduktion sehe ich sowohl Ertrag als auch Qualität in Gefahr. Ich bin jedoch bestrebt, die bestehenden Maß­nahmen weiter zu optimieren und meine Erfahrungen zum Beispiel über das Projekt „100 nach­haltige Bauern­höfe“ mit anderen Land­wirtinnen und Land­wirten zu teilen. Vielleicht eröffnen auch neue technische Errungen­schaften die Möglichkeit, den Ein­satz von Pflanzenschutz­mitteln weiter zu reduzieren.


Ist öko­logischer Land­bau aus Ihrer Sicht gleich­bedeutend mit nach­haltigem Land­bau?

Ich habe bereits selbst mit dem Gedanken gespielt, meinen Betrieb auf die öko­logische Wirtschafts­weise umzu­stellen. Dabei spielen jedoch eine Viel­zahl an Aspekten eine Rolle und die Umstellung ist nicht so einfach, wie sich das manch einer vielleicht denkt. Eine der größten Heraus­forderungen ist meiner Meinung nach der wirtschaft­liche Absatz der öko­logisch erzeugten Produkte.

Die Frage der Nach­haltigkeit im öko­logischen Land­bau ist nicht immer leicht zu beantworten. Natürlich würde man relativ schnell die Ein­sparung von Pflanzenschutz­mitteln erreichen. Aller­dings werden zeit­gleich die Erträge sinken. Um die­selbe Menge an Nahrungs­mitteln zu erzeugen wäre also eine größere Produktions­fläche nötig. Eventuell fehlt diese Fläche dann beim Natur­schutz. Auf meinem Betrieb werden beispiels­weise Flächen aus der Produktion genommen, um sie der Förderung von Hamstern, Reb­hühnern und Insekten zur Verfügung zu stellen. Außer­dem hat die überwiegend feuchte Witterung in diesem Jahr erneut eindrucks­voll gezeigt, dass ohne den gezielten Einsatz von Pflanzenschutz­mitteln lang­fristige Probleme durch erhöhten Unkraut- und Krankheits­druck entstehen können. Solche Jahre können meiner Meinung nach ein­deutig die regionale Ernährungs­sicherheit gefährden und die Abhängigkeit von Importen erhöhen. Für mich wäre das nicht im Sinne der Nachhaltig­keit.


Welche Heraus­forderungen, wie beispiels­weise die Zunahme von Extremwetter­ereignissen, stehen der Land­wirtschaft in der Zukunft bevor?

Aus pflanzen­baulicher Sicht sehe ich meinen Betrieb durch­aus als gut auf­gestellt an. All die Maß­nahmen, die ertrags­fähige Böden und gesunde Pflanzen­bestände fördern, tragen auto­matisch zu einer gewissen Klima­resilienz im Pflanzen­bau bei. Ich denke schon, dass es zukünftig wärmer wird und auch die Stark­niederschläge sowie andere Extremwetter­ereignisse zunehmen werden. Aller­dings sehe ich wirtschaftliche Heraus­forderungen aktuell als weit­aus besorgnis­erregender an. Die Wettbewerbs­fähigkeit der heimischen Land­wirtschaft nimmt stetig ab. Schuld daran sind meiner Meinung nach unter anderem steigende Flächen­kosten bei gleich­zeitig schlechter Flächen­verfügbarkeit, steigende Büro­kratie und zunehmende Betriebs­kosten. Gleich­zeitig orientieren sich die Preise für unsere Produkte am Welt­markt, selbst wenn sie regional vermarktet werden. Ich bin daher der Meinung, dass land­wirtschaftliche Betriebe in unserer Region – und da schließe ich meinen eigenen nicht aus – lang­fristig kaum noch zukunfts­fähig sind. Wenn über­haupt werden solche Betriebe aus innerer Über­zeugung und Leiden­schaft an der Land­wirtschaft im Neben­erwerb weiter­geführt, während das Haupt­einkommen anderswo verdient werden muss.


Gibt es etwas, was Sie den Leser­innen und Lesern über die moderne Land­wirtschaft noch mit auf den Weg geben wollen?

Ich würde mich freuen, wenn mehr Menschen das Gespräch mit uns Land­wirtinnen und Land­wirten suchen würden und Interesse an dem zeigen, was wir tag­täglich leisten. Ein solcher Aus­tausch könnte dazu beitragen, dass Verbraucher­innen und Verbraucher die Komplexität der Land­wirtschaft besser verstehen. Sicher­lich könnte man dadurch auch das ein oder andere Vor­urteil aus der Welt schaffen. Wenn diese Informationen dann noch im Familien- oder Freundes­kreis geteilt werden, würde einer größeren Wert­schätzung gegen­über der regionalen Land­wirtschaft wahr­scheinlich nichts mehr im Wege stehen.


Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hirsch!

Dieses Interview entspricht der Meinung des Interview­partners und gibt nicht die Position des Landes­betriebs Land­wirtschaft Hessen als neutrale, unabhängige Institution wieder.